about:web – Der Podcast über das Internet, Dich und mich

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about:web #3 – Macht das Internet einsam?

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about:web – der brandneue Podcast von Mozilla und ze.tt

Episode 3 – Macht das Internet einsam?

Protagonisten:

Bjoern Krass – Journalist und Medienexperte Stephan Porombka – Autor „Es ist Liebe“ Jule – hat ihre Langzeitbeziehung über Tinder gefunden

Skript:

Mae Becker: Neulich schrieb ich meinem Mitbewohner Alex eine WhatsApp: „Danke, dass du mein Paket vom Nachbarn abgeholt ist! Da kommt bestimmt bald noch eins. Hatte Kaufrausch!“ Seine Antwort: Aha.

Hä? Was heißt denn, “Aha”? Ist der jetzt sauer? Ist das ein genervtes Aha? Hab' ich was falsch gemacht? Denkt Alex, ich gehe jetzt davon aus, dass er meine anderen Pakete auch noch von den Nachbarn holen wird? Findet er, ich shoppe zu viel? Schnell noch eine Sprachnachricht hinterher, um alles gerade zu bügeln! Wäre natürlich nicht nötig gewesen – Alex hatte „Aha“ geschrieben, weil er gerade voll bepackt unterwegs war.

Kennt ihr solche Unterhaltungen? Eigentlich ist das Smartphone mit seinen endlosen Apps und Tools ja dazu da, uns den Alltag zu erleichtern. Aber das Potenzial für Missverständnisse und und andere Stolpersteine ist groß. Manchmal hat man dann aber doch das Gefühl: Hier werden jetzt Probleme gelöst, die es vorher so gar nicht gab.

Genau darum soll es auch in dieser Folge von about:web gehen: Wie verändert das Leben im Netz unsere Beziehungen? Vernetzt es uns oder trennt es uns ?


[Jingle]

Mae Becker: Die Möglichkeiten des Internets sind nicht mehr wegzudenken aus unserer Welt. Seien wir mal ehrlich: Wer möchte schon ernsthaft verzichten auf WhatsApp, YouTube oder Wikipedia? Die Digitalisierung hat unser Leben wie nebenbei auf links gedreht – und dabei vieles vereinfacht.

Ist es also nur logisch, dass wir auch unsere Beziehungen im Internet-Zeitalter neu denken müssen? Oder passiert das vielleicht schon längst? Kinder, die heute geboren werden, kennen keine Welt ohne Internet und Smartphone mehr. Das, was wir noch die neuen Medien nennen, ist für sie nichts Besonderes, sondern stinknormaler Alltag.

Die Wissenschaft bezeichnet diese Kinder, die ab 2010 geboren wurden, als Generation Alpha. Etwa ein Viertel der Unter-Sechsjährigen besitzt heute schon ein Smartphone. Neuesten Umfrageergebnissen zufolge glaubt fast die Hälfte der deutschen Eltern, dass ihre Kinder sie noch vor dem zehnten Lebensjahr überholen werden, was technisches Know-How angeht.

Dementsprechend ausführlich und unbesorgt probieren diese Kinder sich auch im Netz aus. „Kinder müssen draußen bleiben“? Keine Chance! Die Altersbeschränkungen, die WhatsApp, Instagram und Co. in ihren AGB angeben, haben mit der Realität längst nichts mehr mit zu tun. Für Kinder und Jugendliche ist das Internet zum virtuellen Pausenhof geworden. Hier pflegen und leben sie ihre Beziehungen – und das viel schneller und intensiver, als ihre Eltern es getan haben. Kein Wunder: Diese Kinder sind always on. Das Smartphone sorgt dafür, dass sie immer und überall verfügbar sind – jedenfalls, wenn sie verfügbar sein wollen. Gleichzeitig beendet die Generation Alpha aber Beziehungen online auch ohne langes Zögern wieder. Das ganze Konstrukt wirkt unsicherer und zerbrechlicher als früher.

Bjoern Krass ist Lehrbeauftragter für Journalismus und Rhetorik an der SRH Hochschule der populären Künste in Berlin. Außerdem coacht er einige von Deutschlands bekanntesten Influencern. Das Kommunikationsverhalten junger Menschen zu kennen, gehört für ihn quasi zum Job.

Bjoern Krass: Ich bin selber in Grundschulklassen unterwegs seit vielen Jahren, und ich beobachte das bei meinen Schülerinnen und Schülern. Da geht es oftmals einfach gar nicht darum, dass zum Beispiel zielgerichtet miteinander telefoniert wird.

Da wird eine beliebige Person gewählt, auf die hat man dann gerade Lust, und dann wird der WhatsApp-Knopf gedrückt und eine Sprachnachricht gestartet, ohne eine explizite Informationsübermittlungs-Absicht zu haben.

Also, es gibt ganz klar keine konkrete Information, die geteilt wird, außer eben: Ich bin da; ich bin präsent.

Mae Becker: Nähe, Freundschaft, Beziehung – das sind menschliche Grundbedürfnisse. Daran wird auch das Internet nichts ändern. Nicht umsonst sprechen wir schließlich von den sozialen Medien. Das Ziel vieler Apps und Dienste, die wir nutzen, ist es, uns zu vernetzen.

Aber: Gerade von jungen Menschen wird Nähe im Netz immer seltener klassisch gesucht und gepflegt. Sie wird abgerufen, wenn man gerade Lust darauf hat. Wann man eine Sprachnachricht abhört, ob man auf einen Post reagiert, das entscheidet jeder für sich. Nähe on-demand – das treibt dann manchmal seltsame Blüten, wie Bjoern Krass zu berichten weiß.


Bjoern Krass: Es gibt ganz schöne Beispiele internationaler Art. In Japan ist es zum Beispiel so, dass es ganz viele Filme gibt im Internet, wo Menschen essen. Die filmen sich dabei oder werden dabei gefilmt, wie sie essen. Wenn man alleine wohnt und alleine nicht essen möchte, dann holt man sich einen Video-Gast dazu. Der ist nicht live, das ist 'ne Voraufzeichnung. Man isst dann halt zu zweit oder zu mehreren. Es gibt auch Familien, die essen, an denen man dann halt einfach teilnehmen und am Fernseher Teil der Familie sein kann.

Mae Becker: Ein YouTube-Video als Ersatz für das Familienessen oder den WG-Abend? Das klingt doch wie eine Szene aus irgendeinem düsteren Science-Fiction-Film, oder? Nein, meint Krass. Er warnt davor, zu schnell zu urteilen.

Klar, Trends wie dieser werden wohl nie den deutschen Mainstream bestimmen. Sie zeigen aber, wie das Internet unsere Vorstellung von Beziehung beeinflussen kann. Sie belegen, wie bereitwillig gerade junge Menschen diese neuen Möglichkeiten in Anspruch nehmen. Das kann man kritisch sehen. Darüber zu klagen, hält Krass aber für sinnlos:

Bjoern Krass: Wir müssen uns komplett von dem verabschieden, wie wir Beziehung früher noch definiert haben, als gegenseitige Wertschätzung – beispielsweise die Wertschätzung von Charaktereigenschaften oder von Werten, die wir selbst vertreten – sondern es geht darum, wahrgenommen zu werden. Der reine Beweis, ich nehme dich wahr, ist essenziell wichtig geworden für Kinder. Und das ist für sie zählbar: Zählbar in Likes, in Abrufen, in Shares, in Kommentaren. Danach bemessen sie heute die Güte ihres eigenen Daseins.

Mae Becker: So richtig verwunderlich ist diese Entwicklung ja eigentlich nicht. Schließlich arbeiten wir alle mit Gadgets und Plattformen, die es vor 15 oder 20 Jahren noch gar nicht gab. Niemand konnte sich vorbereiten auf die vielfältigen neuen Beziehungsstrukturen, die sich daraus ergeben. Was das Leben online angeht, sind wir alle sowas wie Pioniere – ob wir nun wollen oder nicht.

Genau darum dreht sich auch das Buch „Es ist Liebe“. Darin beschäftigt der Berliner Kulturwissenschaftler Stephan Porombka sich mit der Frage, wie wir unsere Beziehungen im Internet-Zeitalter gestalten können. Mein Kollege Victor Redman hat ihn zum Gespräch getroffen.

Victor Redman: Herr Porombka, Sie haben ja dieses Buch geschrieben, „Es ist Liebe“. Und da sagen Sie – ganz spannendes Statement, fand sicher nicht nur ich –: 'Das Smartphone ist ein Liebesding'. Wie ist das denn zu verstehen?

Stephan Porombka: Das Smartphone ist ein Liebesding auf doppelte Weise. Zum einen ist es ein Gerät, zu dem wir eine Beziehung entwickeln; das wir auch lieben und brauchen; das wir berühren müssen und wollen und von dem wir auch berührt werden wollen, und mit dem wir uns natürlich auch streiten. Das ist, wie alle Liebesbeziehungen, keine einfache Beziehung, die wir da führen.

Zugleich ist es aber auch das Gerät, mit dem wir unsere Liebesbeziehungen mittlerweile organisieren. Das heißt, ganz viel, was diese Liebe ausmacht, findet über dieses Smartphone statt: Das Schreiben, das Senden, das Lesen, das sich Zeigen, das den anderen Angucken, das hat unmittelbar mit diesem Gerät zu tun. Diese Verbindung von beidem, die das nochmal verstärkt, das ist das, was natürlich wahnsinnig interessant ist und was auch für uns neu ist.

Es gibt keine Vorbilder dafür. Wir tragen aber – und jetzt sag' ich wirklich wir – diese Geräte bei uns. Und weil es keine vorgefertigten Regeln dafür gibt, weil uns niemand sagt, wie wir damit unsere Liebesbeziehungen zu führen haben, müssen wir eben damit experimentieren. Und das betrifft jetzt die Zwölfjährigen, die das Handy in die Hand kriegen, genauso wie die 60- oder 70-jährigen, oder die 75- und 80-jährigen, die eben auch mit diesen Geräten kommunizieren und auch mit diesen Geräten lieben.

Victor Redman: Hat das Internet dazu geführt, dass die Liebe sich neu erfunden hat oder neu erfunden werden muss? Brauchen wir also Liebe 2.0 oder 3.0, oder ist das zu hoch gegriffen?

Stephan Porombka: 
Na ja, erstmal muss man natürlich grundsätzlich sagen, ganz wichtig: Das Konzept Liebe, an das wir glauben, und das wir als romantische Liebe praktizieren, das hat einen historischen Index. Das ist irgendwann entstanden. Das gab es in der Antike nicht, das gab es im Mittelalter nicht. Das ist 'ne spezifisch neuzeitliche Sache, und das fing an sich zu entfalten vor etwa 250, 200 Jahren.

Ich gebe nur den kleinen Hinweis und sage: Es ist kein Zufall, dass unser Konzept von Liebe um 1800 entstanden ist in einem Zusammenhang, wo die Buchkultur boomte und die Briefkultur boomte, und wo es boomte, dass alle schrieben und lasen, und dass plötzlich Medien erfunden wurden, über die man ganz intim miteinander kommunizieren konnte. Und diese Form des intimen Kommunizierens hat eine bestimmte Idee von Intimität überhaupt hervorgebracht.

Wir machen jetzt mal den Schnitt und gehen einfach 200 Jahre weiter in unsere Gegenwart und sagen: Ah, okay, eigentlich haben wir es wieder mit einem Medienwechsel zu tun. So wie wir vor 200 Jahren [6'50“ - Versprecher] die Verbreitung des Buches und des Erzählens und des Liebesbriefes hatten, so haben wir es jetzt mit Medien zu tun, in denen wir auch eine neue Form von Intimität erfinden können, oder mit denen wir so arbeiten können, dass wir unsere Intimität auf neue Art gestalten.

Von daher würde ich sagen: Liebe 1.0 meinetwegen hat was mit Büchern und Papier zu tun. Liebe 2.0, wir es vielleicht nennen können, ist etwas, was in unserer Gegenwart stattfindet, und was mit spezifisch anderen Medien zu tun hat – nämlich mit den Medien mit denen wir jetzt schreiben und mit denen wir jetzt lesen.

Victor Redman: Jetzt haben wir natürlich immer so'n bisschen den Drang, den Impuls – also, ich zumindest – zu gucken: Wie die Dinge sich verändern, ist das gut? Kann ich das positiv bewerten,oder finde ich das erstmal negativ, schaue ich kritisch? Das hat wahrscheinlich auch wieder ganz viel mit Generationen zu tun und wie man aufgewachsen ist. Mich würde mal interessieren: Was würden Sie denn sagen, welche positiven Entwicklungen im Bezug auf Beziehungen haben sich denn ergeben, durch diese Entwicklung, durch die digitalen Medien? Was ist vielleicht jetzt besser als vor dem Smartphone?

Stephan Porombka:
 Also, es gibt generell einen Fortschritt in der Moderne, was Liebe betrifft, aber auch was Sexualität betrifft: Nämlich, dass mehr kommuniziert wird. Die Liebe, wie wir sie kennen, ist eigentlich im Kern eine Kommunikationsliebe. Das heißt, die Partner sprechen sehr viel miteinander. In dieser Liebe wird sowieso viel geschrieben und viel gelesen und man tauscht sich aus über das, was man eigentlich gern möchte oder haben will. Und wir haben es natürlich jetzt mit einer Kommunikations-Revolution zu tun. Es sind Kommunikationsmedien, die wir jetzt in der Hand haben, und das sind natürlich Booster auch für die Liebeskommunikation. Das heißt, es wird noch mehr geschrieben über die Liebe.

Das Internet führt natürlich dazu, dass wir mit einer unglaublichen Vielfalt von Diversitäten konfrontiert sind, also das einfach sehen, Möglichkeiten sehen. Wir stellen uns das jetzt einfach vor: Wenn ich 1960 in 'nem Dorf in der Nähe von Bielefeld aufwachse, dann hab' ich nicht viel von der Welt gesehen, vor allen Dingen nicht was Liebe betrifft, was Sexualität betrifft. Und jetzt machen sich natürlich wahnsinnig große Horizonte auf und Möglichkeiten, innerhalb derer ich mich selber anders verorten kann, mit meinen eigenen Wünschen und Präferenzen.

Victor Redman:
 Jetzt kann ich swipen, wen gibt es in umliegenden Dörfern, der vielleicht meine Interessen teilt und meinen Horizont ein Stück erweitern. Ist das vielleicht auch ein Grund – das ist ja so ein gern gemachter Vorwurf – warum viele moderne Beziehungen den Eindruck erwecken, so unverbindlich zu sein und so schnell wieder zu zerbrechen? Dass man einfach die Möglichkeiten sieht, die man früher nicht gesehen hat und dann auch eher gewillt ist zu sagen: Komm', lassen Wirts.

Stephan Porombka: Ja, das stimmt. Allerdings ist dieser Vorbehalt in das Konzept der romantischen Liebe generell schon eingelassen.

Deswegen übrigens wird die romantische Liebe schon generell verfolgt von dem Vorwurf, dass sie einerseits Verbindlichkeit [20'21“ Versprecher] erforderlich macht, aber gleichzeitig unverbindlich ist: Man ist mit jemandem zusammen, könnte aber auch mit jemand anderem zusammen sein.

Und natürlich haben wir es im Moment mit einer Zunahme zu tun. Ich kann schneller Leute testen. Ich kann gucken, passt das zu mir oder passt das nicht? Ich kann eher Sachen ausprobieren, die ich früher nicht ausprobieren konnte. Und das können wir jetzt auch erstmal als Zugewinn sehen an persönlicher Freiheit und Möglichkeit, auch erfüllende Beziehungen für sich selbst zu finden, und nicht in Beziehungen bleiben zu müssen, die nicht erfüllend sind.

Victor Redman: Was wären denn dann Ihre Tipps? Was sollte ich beachten, wenn ich diese Werkzeuge möglichst sinnvoll nutzen will, ohne dass das ganze Experiment am Ende explodiert? Haben Sie ein paar heiße Tipps für uns?

Stephan Porombka: Also, Regeln dafür, dass das Experiment am Ende nicht explodiert, gibt es nicht.

Romantische Liebe lebt davon, dass man nicht weiß was kommt. Deswegen enthält sie in sich das Risiko. Deswegen enthält sie in sich übrigens auch die Spannung, die es dann so lustig macht, die ganze Sache am Laufen zu halten. Und meistens, wenn die Sachen nicht mehr spannend sind, dann sind sie vorbei.

Wir haben keine Regelbücher, wir haben keine Vorbilder für das. Wir stehen eher in dieser Situation drin und müssen eben experimentieren. Wichtig ist bei diesen Experimenten immer, dass man im alten Sinne ein Laborbuch mit sich führt, in dem man nämlich das Experiment protokolliert, also sozusagen auf dem Laufenden bleibt, was passiert.

Victor Redman: 
Was funktioniert, was funktioniert nicht.

Stephan Porombka: Was funktioniert und was funktioniert nicht! Wann knallt's, wann knallt's nicht? Sich sozusagen erstmal protokollarisch darüber Rechenschaft abzugeben, wie läuft es eigentlich? Und da wird es natürlich wahnsinnig interessant, weil ich natürlich über meine eigene Liebesbeziehung nachdenken kann und sagen kann, wie ist es eigentlich gewogen? Wie setze ich etwa mit meiner Freundin diese Medien ein, und was für ein Gewebe entsteht dadurch? Wie senden wir die Sachen, wie lassen wir das zirkulieren. Die Bilder, die Texte, die Sprachnachrichten, wo erreichen die uns? Wo werden sie gelagert, wo haben wir ein Gedächtnis? Alles wahnsinnig interessant!

Jetzt guck' ich aber raus und sehe, ich kenne andere Leute, und die führen auch Beziehungen –natürlich auch strukturiert mit diesem Smartphone, und unter Umständen ganz anders.

Und auch das gehört natürlich in so ein Laborbuch rein. Dass man guckt, was machen die eigentlich? Was mache ich, und was machen die anderen, und wie verändert sich das? Und welchen Test mache ich jetzt gerade, und was folgt daraus? Und sich dabei auch immer auch immer Rechenschaft darüber ablegen – und das ist glaube ich das Wichtige, das ist der zentrale Tipp –: Was will ich? Ist das jetzt gut für mich, oder muss ich was ändern?

Und damit ist nicht ausgeschlossen, dass es knallt. Knallen kann's immer. Aber vielleicht knallt's das nächste Mal schöner.

Victor Redman: Oder später.

Stephan Porombka:
 Oder später.

Victor Redman: Oder nie.

Stephan Porombka:
 Oder auch nie, genau.

Mae Becker: Und, wenn's dann doch mal wieder knallt, dann ist die Medizin für den Liebeskummer oft nicht weit. Das kann man natürlich auch als Vorzug des Internet-Zeitalters ansehen. Auch bei der Partnersuche gilt: There's an app for that.

Plattformen wie Lovoo, OKCupid oder Bumble versprechen Liebe auf den ersten Klick. Die wohl bekannteste Flirt- und Datings-App ist allerdings Tinder. Die Plattform zählt etwa 50 Millionen registrierte Nutzer weltweit. An die 10 Millionen Menschen tindern jeden Tag. Der Ansturm ist sicher auch der Einfachheit der App geschuldet: 20 Milliarden Matches soll Tinder seit 2012 produziert haben.

Was am Ende bei so einem Match herauskommt, dazu gibt es keine Zahlen. Genau deswegen wird Tinder von vielen Seiten auch immer noch skeptisch betrachtet. Entwertet das scheinbar endlose Angebot an verfügbaren Singles das Konzept der Liebe? Leistet Tinder Unverbindlichkeit und Beziehungsarmut Vorschub? Und: Sucht hier überhaupt jemand was anderes als schnellen Sex?

Jule hat keine Antworten auf diese Fragen gesucht, als sie anfing Tinder zu benutzen. Für sie war schnell klar: Sie wollte Sex. Und nachdem die anfängliche Skepsis überwunden war, konnte sie den konnte sie den bei Tinder auch ziemlich einfach kriegen. Ohne, dass sie es drauf angelegt hätte, fand sie aber noch viel mehr.

Jule: Ich hab' über Tinder jemanden kennen gelernt, der auch heute noch in meinem Leben 'ne große Rolle spielt. Und zwar war das an einem Freitagabend im Sommer. Ich saß auf dem Balkon und hab' 'ne Flasche Wein getrunken, hab' noch was für meine Produktion am nächsten Tag vorbereitet. Dann kam das typische Match-Geräusch aus dem Telefon.

Wir hatten geschrieben, und dann ging's darum, ob wir uns jetzt noch treffen, Und dann hab' ich gesagt, dass ich jetzt nicht mehr rausgehe, aber dass er gerne zu mir kommen kann. Er kam dann auch, und wir saßen auf dem Balkon, und er scrollte meine Playlist durch und merkte, dass wir Fan einer gemeinsamen Band sind. So hatten wir dann 'ne gute Grundlage und haben uns unterhalten

Wir entschieden uns dann für Sex und es war auch alles ganz toll, aber wir haben auch mitbekommen, dass wir vielleicht nicht die besten Fick-Buddies sind, sondern dass wir wirklich gute Freunde sind und wir andere Themen haben, die wir besprechen können, oder auch andere Aktivitäten.

Mae Becker: Auch ihren Partner hätte Jule übrigens auf Tinder matchen können – wollte sie aber nicht. Ein Paar sind sie dann trotzdem geworden. Und auch hier spielten die sozialen Medien eine wichtige Rolle:

Jule:
 Meinen jetzigen Freund kannte ich schon vor den sozialen Medien, allerdings [4:26 Niesen] empfand ich ihn als Arschloch. Ich fand ihn überhaupt nicht nett. Als er dann irgendwann bei Tinder aufkam, hab' ich ihn auch erstmal weggewischt, weil ich gesagt hab', mit so einem möcht' ich nichts zu tun haben.

Zwei, drei Jahre später hat er mir dann 'ne Freundschaftsanfrage bei Facebook geschickt. Die hab' ich dann angenommen, weil ich gedacht habe, okay, das ist oberflächlich. Muss ja auch zu nichts führen. A n dem Tag, wo er mir die Freundschaftsanfrage geschickt hat, hat er mir noch eifrig viele Nachrichten geschrieben. Ich war mit 'ner guten Freundin abends noch in 'ner Bar, und dann hatten wir 'ne Gin-Tonic-Beratung via Telefon gemacht, und irgendwann entschied er sich dazu, zu uns in die Bar zu kommen. Und seitdem sind wir quasi unzertrennlich.

Mae Becker: Jule könnte man wohl als Tinder-Erfolgsgeschichte beschreiben. Eine bedingungslose Anhängerin der sozialen Medien ist sie trotzdem nicht geworden. Mehr als ein Mittel zum Zweck waren Tinder und Co. für Jule nämlich nie:

Jule: Ich denke, dass man ohne die sozialen Medien genauso die gleichen Menschen hätte kennen lernen können. Natürlich wäre das komplizierter gewesen, aber man hat ja ein Schema, wonach man sucht, und ich glaube, wenn man gemeinsame Interessen, dann kann man sich durchaus auch im realen Leben treffen. Da gehört natürlich 'n bisschen mehr Mut dazu, weil man dann denjenigen ansprechen muss – aber ich glaube, das wäre auch alles ohne die sozialen Medien gegangen.

Mae Becker: Vernetzt das Internet uns, oder trennt es uns? Letztlich kommt es wohl darauf an, wie wir die Werkzeuge nutzen, die das Netz bietet. Kinder und Jugendliche nutzen Möglichkeiten, über die wir noch nachgrübeln, bereits sehr intensiv und effektiv. Dieser Mut zum Experimentieren kann ein Vorbild für uns sein – muss es aber nicht.

WhatsApp, Facebook, Tinder und Co. haben das Potenzial, unsere Welt ein Stück größer zu machen. Sie eröffnen uns Optionen und Freiheiten, die wir ohne sie so nicht gehabt hätten. Jede neue App kann auch eine neue Chance sein. Gleichzeitig kann aus diesem Mehr aber auch schnell ein Zuviel werden. Aus Möglichkeiten werden Überforderungen.

Am Ende des Experiments kann entweder der große Erfolg stehen – oder der große Knall. Wie groß das Risiko ist, das wir eingehen wollen – diese Entscheidung kann uns keine App der Welt abnehmen.

Um Liebe geht es übrigens auch in der nächsten Folge. Dort lernen wir Akihito kennen. Der ist verliebt – in eine virtuelle Person. In eine Person also, die es gar nicht gibt. Oder vielleicht doch? Diesen und ähnlichen Fragen stellen wir uns beim nächsten Mal in about:web.

Wenn Ihr Euch in der Zwischenzeit im Netz in Liebesabenteuer stürzen wollt, dann macht Ihr das am besten mit Firefox, dem Internet Browser von Mozilla. Der verbesserte Tracking-Schutz sorgt dafür, dass Privates auch privat bleibt. Das garantiert zwar immer noch keinen Erfolg in der digitalen Liebe, erspart Euch aber immerhin unerwünschte Werbung und ähnliche Unannehmlichkeiten bei Euren Experimenten.


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